Arzthaftung und Versicherung

Die Grundzüge der Arzthaftung in der Schweiz sind dieselben, unabhängig davon, ob ein Arzt selbständig oder angestellt tätig ist. Der erste Teil dieses Beitrags bietet einen Überblick über die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der zivilrechtlichen bzw. staatshaftungsrechtlichen Haftung, die auf den finanziellen Ausgleich erlittener Schäden von Patienten abzielt. Im zweiten Teil wird auf den Versicherungsschutz sowie auf wichtige Pflichten eingegangen, die der Arzt bei Eintritt eines Schadenfalls hat. Der dritte Teil des Beitrags enthält aus der Praxis eines Spitals entwickelte Empfehlungen, was nach einem möglichen Behandlungsfehler konkret vorzukehren ist.

Schlüsselwörter: Berufshaftung, Verletzung der Sorgfaltspflicht, Krankenversicherung, Behandlungsfehler



Rechtlich wird zwischen zwei Arten der Arzthaftung unterschieden. Einerseits existiert die strafrechtliche Arzthaftung, welche sich gegen die Einzelperson richtet und eine Verurteilung wegen Erfüllung eines Straftatbestands zur Folge haben kann (z. B. Körperverletzung, Tötung etc.). Anderseits gibt es die zivilrechtliche (bzw. für angestellte Ärzte in öffentlichen Institutionen die staatshaftungsrechtliche) Arzthaftung, die auf den finanziellen Ausgleich erlittener Schäden von Patienten abzielt. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf die zivilrechtliche Arzthaftung, deren Voraussetzungen und auf die Versicherung gegen das entsprechende Risiko.

Voraussetzungen der zivilrechtlichen Arzthaftung

Haftungsvoraussetzungen sind das Vorliegen eines Behandlungsverhältnisses, ein Schaden beim Patienten, eine Pflichtverletzung des Arztes, ein Kausalzusammenhang und ein Verschulden des Arztes.

Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient

Auf das Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient kommen grundsätzlich die obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Auftrag zur Anwendung (Artikel 394 ff. des Obligationenrechts, OR). Ein Auftrag kommt formfrei zustande, d. h. ohne Unterzeichnung etwa eines Vertrags (z. B. durch eine Onlineterminvereinbarung).
Ein Behandlungsverhältnis ist vom Patienten nachzuweisen. In der Praxis ist die Existenz eines Behandlungsverhältnisses in der Regel unstrittig.

Schaden beim Patienten

Eine erlittene Gesundheitsschädigung (Organverletzung, Seitenverwechslung, Zahnschaden etc.) reicht zur Begründung eines Schadens im haftpflichtrechtlichen Sinn noch nicht aus. Dazu muss die Gesundheitsschädigung nämlich entweder finanzielle Folgen haben, für welche Schadenersatz verlangt wird (z. B. Lohnausfall oder Mehrkosten durch längere Behandlungsdauer, Betreuungskosten etc.). Oder der Gesundheitsschaden stellt eine vermögensunabhängige Beeinträchtigung der Persönlichkeit dar, für welche Genugtuung verlangt wird (z. B. seelische Beeinträchtigungen in Form von körperlichen Schmerzen, Verminderung der Lebensfreude etc.) (Bundesgerichtsentscheid [BGE] 125 III 412 Erwägung [E.] 2a).

In der Praxis wird selten bestritten, dass ein Schaden vorliegt. Die Meinungen gehen jedoch regelmässig bei der Frage auseinander, wodurch er verursacht wurde und wie hoch er zu beziffern ist (z. B. bei der Berechnung des hypothetischen Erwerbsaufalls).

Pflichtverletzung des Arztes

Ein Behandlungsverhältnis bringt für den Arzt u. a. zwei zentrale Berufspflichten mit sich: die Sorgfaltspflicht und die Aufklärungspflicht (BGE 117 Ib 197 E. 2a). Am häufigsten werfen Patienten den Ärzten eine Verletzung eine dieser Berufspflichten vor, weshalb sie nachfolgend näher beleuchtet werden.

Sorgfaltspflicht und deren Verletzung
Der Arzt «schuldet» dem Patienten keinen Behandlungserfolg, sondern lediglich ein sorgfältiges Tätigwerden nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis). Die Anforderungen an diese ärztliche Sorgfaltspflicht sind nicht abschliessend geregelt. Laut Bundesgericht, dem höchsten Gericht der Schweiz, richten sich diese vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Ermessensspielraum, den Mitteln und der Zeit, die dem Arzt im Einzelfall zur Verfügung steht, sowie nach dessen Ausbildung und Leistungsfähigkeit und den allgemeinen Richtlinien und Behandlungsstandards der Fachgesellschaften (BGE 134 IV 175 E. 3.2). Der Arzt hat seine Patienten zum Schutze ihres Lebens oder ihrer Gesundheit stets fachgerecht zu behandeln und dabei die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt zu beachten (Urteil des Bundesgerichts 4A_255/2021 vom 22. März 2022 E. 3.1.3). Dazu gehört auch, dass der Arzt seine eigenen (fachlichen) Grenzen kennt (zum sog. Übernahmeverschulden siehe Urteil des Bundesgerichts 6B_217/2020 vom 31. August 2020 E. 4.2).

Ein Behandlungsfehler – gemeinhin «Kunstfehler» genannt – liegt gemäss Bundesgericht vor, wenn eine Diagnose, eine Therapie oder ein sonstiges ärztliches Vorgehen nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint und damit ausserhalb der objektivierten ärztlichen Kunst steht (Urteil des Bundesgerichts 4A_255/2021 vom 22. März 2022 E. 3.1.3). Darunter fällt etwa eine Seitenverwechslung oder das Vergessen von Instrumenten oder Tupfern im Körper des Patienten. Der Arzt haftet indessen nicht nur für grobe Verstösse gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, sondern für jede Pflichtverletzung (BGE 120 Ib 411 E. 4a).
Der Begriff der Pflichtverletzung darf dabei aber nicht so verstanden werden, dass darunter jede Massnahme oder Unterlassung fällt, welche bei nachträglicher Betrachtung den Schaden bewirkt oder vermieden hätte (BGE 130 IV 7 E. 3.3). Der Arzt hat nämlich sowohl bei der Diagnose als auch bei der Behandlung nach dem objektiven Wissensstand oftmals einen Entscheidungsspielraum, der eine Auswahl aus verschiedenen in Betracht kommenden Möglichkeiten zulässt. Sich für die eine oder andere zu entscheiden, fällt in das pflichtgemässe Ermessen des Arztes, ohne dass er zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn er bei einer retrospektiven Beurteilung nicht die objektiv beste Lösung gefunden hat (BGE 120 Ib 411 E. 4a).

Stellt sich etwa eine Diagnose rückblickend als falsch heraus, ist zwischen einem (nicht vorwerfbaren) Diagnoseirrtum und einer Fehldiagnose zu unterscheiden. Da der Arzt als Auftragnehmer die Erhebung eines korrekten Befundes nicht garantieren kann bzw. muss, hat er nur dann für die falsche Diagnose einzustehen, wenn er dabei nicht fachgerecht vorgegangen ist und die erforderlichen Mittel und Erkenntnisquellen nicht genutzt oder beigezogen hat (BGE 130 IV 7 E. 3.3).

Bei der Beurteilung von Haftungsfragen in der Rechtsprechung wird schliesslich berücksichtigt, dass ein Arzt eine sog. gefahrengeneigte Tätigkeit ausübt (BGE 120 Ib 411 E. 4a). Für jene Gefahren und Risiken, die mit einer ärztlichen Handlung oder Krankheit immanent verbunden sind, hat der Arzt nicht einzustehen (BGE 134 IV 175 E. 3.2). Mit anderen Worten stellen blosse Komplikationen bzw. deren Eintreten keinen Verstoss gegen die Regeln der ärztlichen Kunst dar, sondern sind ein therapeutisches Risiko (z. B. Infektion, Embolie, Blutung oder Thrombose). Für dieses Risiko haftet der Arzt nicht, wenn er den Patienten vorgängig darüber aufgeklärt und alle Vorkehrungen getroffen hat, um den Eintritt des Risikos zu vermeiden (BGE 117 Ib 197 E. 3b).

Ein Behandlungsfehler ist vom Patienten nachzuweisen (BGE 133 III 121 E. 3.1 und 3.4). Dies geschieht üblicherweise mittels eines Gutachtens eines sachverständigen Arztes (vgl. als Beispiel das Urteil des Bundesgerichts 4C.32/2003 vom 19. Mai 2003 E. 4.1).

Aufklärungspflicht und deren Verletzung
Jede ärztliche Behandlung stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten dar. Ein solcher Eingriff ist grundsätzlich rechtswidrig, wenn er nicht auf einer vorherigen Einwilligung des Patienten beruht. Laut Bundesgericht gründet das Erfordernis der Einwilligung des Patienten und der damit verbundene Aufklärungsanspruch in dessen allgemeine Persönlichkeitsrechte und dient dem Schutz sowohl der freien Willensbildung, dem Selbstbestimmungsrecht als auch der körperlichen Integrität des Patienten (BGE 115 Ib 175 E. 2b).

Ein Patient kann nur soweit in eine Behandlung einwilligen, wie er darüber aufgeklärt wurde (informed consent). Der Arzt muss den Patienten klar, verständlich und so umfassend wie möglich über Diagnose, Therapie, Prognose, Behandlungsalternativen, Risiken, Heilungschancen, den spontanen Verlauf der Krankheit sowie gegebenenfalls über finanzielle Fragen aufklären (BGE 133 III 121 E. 4.1.2). Dabei sind der soziale Hintergrund und die Sprache des Patienten (nicht die des Arztes) als Richtmass mitzuberücksichtigen. Ziel ist es, den Patienten in die Lage zu versetzen, möglichst umfassend zu verstehen und aus freien Stücken in die vorgeschlagene Behandlung einzuwilligen oder diese abzulehnen. Gleichzeitig darf die Aufklärung beim Patienten aber laut Bundesgericht auch «keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand» hervorrufen – es gilt eine gewisse Verhältnismässigkeit zu finden (BGE 117 Ib 197 E. 3b).

Einschränkungen oder gar Ausnahmen von der ärztlichen Aufklärungspflicht sind nur in bestimmten Fällen zulässig, etwa wenn es sich um eine Notfallbehandlung handelt. Diesfalls ist die ausführliche Aufklärung so schnell wie möglich nachzuholen.
Der Zeitpunkt der Aufklärung ist so früh wie möglich zu fixieren, damit gewährleistet ist, dass der Patient ohne Zeitdruck überlegen kann. Laut Bundesgericht muss der Patient bei kleineren Eingriffen grundsätzlich spätestens einen Tag vor dem Eingriff seine Einwilligung erklären. Für grössere Eingriffe hat das Bundesgericht den Grundsatz festgehalten, dass die nötige Bedenkzeit mindestens drei Tage betragen muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_910/2013 vom 20. Januar 2014 E. 3.6.1). Unerheblich ist dabei, ob eine Behandlung ambulant oder stationär erfolgt.

Bringt ein Patient vor, nicht (angemessen) über eine Behandlung aufgeklärt worden zu sein, liegt die Beweislast für die ordnungsgemässe Aufklärung und die Einwilligung des Patienten beim Arzt – ist also gerade umgekehrt als beim Nachweis eines Behandlungsfehlers (BGE 115 Ib 175 E. 2b). Aus diesem Grund empfiehlt es sich, das Aufklärungsgespräch schriftlich zu dokumentieren, z. B. mit einem Formular, welches Arzt und Patient unterzeichnen. Ein allgemeiner Vermerk in der Patientendokumentation, wonach der Patient über die geplante Behandlung und ihre möglichen Komplikationen informiert worden sei, reicht laut Bundesgericht nicht aus (BGE 117 Ib 197 E. 3c).

Verletzt der Arzt seine Aufklärungspflicht oder misslingt ihm der Nachweis der Aufklärung, gilt die gesamte durchgeführte Behandlung als widerrechtlich. Der Arzt haftet diesfalls für den entstandenen Schaden, auch wenn er die Behandlung lege artis durchgeführt hat (BGE 108 II 59 E. 3). Entlasten könnte sich der Arzt in diesem Fall durch den Nachweis, dass der Patient bei ordnungsgemässer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (sog. hypothetische Einwilligung) (BGE 133 III 121 E. 4.1.3). Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Nachweis um einiges aufwendiger zu erbringen ist. Eine sorgfältige Dokumentation der Aufklärung wird daher dringlich empfohlen.

Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Pflichtverletzung

Der Arzt haftet nur für den Schaden eines Patienten, wenn zwischen dem Schaden und der Tätigkeit bzw. der Pflichtverletzung des Arztes ein Kausalzusammenhang besteht. Die Pflichtverletzung muss als natürliche Ursache des Schadens erscheinen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung geeignet sein, den Schadenseintritt herbeizuführen oder ihn jedenfalls zu begünstigen (Urteil des Bundesgerichts 4C.32/2003 vom 19. Mai 2003 E. 4.2.1).
Der Kausalzusammenhang ist vom Patienten nachzuweisen. Dies geschieht üblicherweise in Form eines Gutachtens durch einen sachverständigen Arzt (vgl. als Beispiel das Urteil des Bundesgerichts 4A_98/2010 vom 21. April 2010 E. 4).

Verschulden des Arztes

Ein «Verschulden» ist in haftungsrechtlichen Abklärungen nicht in einem moralischen Sinne zu verstehen: Das Verschulden des Arztes wird grundsätzlich vermutet, wenn eine Pflichtverletzung nachgewiesen ist, und muss nicht vom Patienten nachgewiesen werden (BGE 120 II 248 E. 2c). Dem Arzt steht unter Umständen die Möglichkeit offen, sich vom geäusserten Vorwurf zu befreien und nachzuweisen, dass er sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht hat bzw. ihm der objektiv festgestellte Kunstfehler nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (sog. Exkulpation) (BGE 133 III 121 E. 3.1). Dazu hat er nachzuweisen, dass er in der konkreten Situation unter den gegebenen Umständen die ihm zumutbare Sorgfalt angewendet hat.

Versicherungsschutz und -ansprüche

Versicherungsdeckung

Ein selbständig tätiger Arzt muss von Gesetzes wegen über eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung verfügen (Art. 40 lit. h des Medizinalberufegesetzes, MedBG). Spitäler haben für ihre Angestellten in der Regel ebenfalls eine solche abgeschlossen.
Die Versicherungsdeckung und -leistungen variieren von Police zu Police, je nach den Bedürfnissen des Versicherten, des Tätigkeitsfeldes und der Risikobereitschaft. Es lohnt sich, die eigene Police – bereits vor Eintritt eines Schadenfalls – zu kennen bzw. diese gelegentlich zu überprüfen (z. B. hinsichtlich der versicherten Risiken und Personen, Deckungsausschlüsse, Selbstbehalt etc.).

Wichtige Pflichten des Versicherten im ­Schadenfall

Bei Eintritt eines Schadenfalls hat der Arzt üblicherweise verschiedene Pflichten. Zwei der wichtigsten umfassen die zeitnahe Anzeige an die Haftpflichtversicherung und die Pflicht, vor Schuldeingeständnissen oder Anerkennung von Ansprüchen des Patienten die Zustimmung seiner Versicherung einzuholen.

Anzeigepflicht
Der versicherte Arzt wird in der Police regelmässig dazu verpflichtet, seine Haftpflichtversicherung innert weniger Tage nach Eintritt eines Schadenfalls darüber zu informieren.
In der Praxis sollte mit der Anmeldung eines Schadenfalls deshalb nicht lange zugewartet werden, auch wenn bspw. der medizinische Sachverhalt noch nicht gänzlich erstellt ist oder der Arzt sich sicher ist, mit der nötigen Sorgfalt gehandelt zu haben. Die – auch vorsorglich gemachte – Anmeldung eines Schadenfalls bei der Haftpflichtversicherung bedeutet noch keine Anerkennung einer Pflichtverletzung durch den Arzt. Sie ist vielmehr ein standardmässiger, technischer Schritt, sobald ein Patient eine Sorgfaltspflichtverletzung geltend macht.

Keine Schuldanerkennung ohne Zustimmung der Haftpflichtversicherung
In den gängigen Haftpflichtpolicen findet sich regelmässig eine Bestimmung, wonach der Versicherte ohne vorgängige Zustimmung der Haftpflichtversicherung nicht berechtigt ist, Entschädigungsansprüche anzuerkennen oder abzufinden. In der Praxis ist eine solche Bestimmung vor allem bei der Kommunikation eines möglichen Fehlers gegenüber dem Patienten relevant. Aus genanntem Grund sollte ein Arzt von voreiligen Schuldeingeständnissen absehen.
Falls ein Arzt eine Pflichtverletzung ohne vorgängige Zustimmung der Versicherung anerkennt, kann diese ihre Leistungen für den Schadenfall gestützt auf die Police verweigern oder kürzen.

Abwicklung Schadenfall

Seit Anfang 2022 kann ein Schadenfall nicht nur vom versicherten Arzt bei der Haftpflichtversicherung angemeldet werden, sondern auch direkt vom betroffenen Patienten (Art. 60 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag, VVG). Erfahrungsgemäss braucht ein Patient dafür die Unterstützung eines Anwalts, welcher wiederum auf die Expertise eines sachverständigen Arztes angewiesen ist.

Ab der Anmeldung eines Schadenfalls übernimmt die Haftpflichtversicherung üblicherweise den Grossteil der Arbeit bzw. der weiteren Abwicklung: Sie ermittelt und beurteilt den medizinischen Sachverhalt mithilfe von eigenen oder beigezogenen medizinischen Experten, vertritt den Arzt gegenüber dem Patienten oder dessen Anwalt und entschädigt berechtigte Ansprüche bzw. wehrt unbegründete ab. Hinzu kommt regelmässig die Übernahme von Rechtsvertretungskosten in allfälligen Disziplinar-, Straf-, Verwaltungs- und Zivilverfahren durch die Versicherung.
Da die medizinischen und juristischen Abklärungen sowie ein allfälliger Gang vor Gericht für beide Seiten erfahrungsgemäss hohe Kosten verursachen und lange dauern können, werden solche Schadenfälle grösstenteils aussergerichtlich mittels einer Vergleichsvereinbarung beigelegt.

Umgang mit möglichen Fehlern

Fehler können passieren. Wichtig ist, dass man lernt, damit umzugehen und daraus zu lernen. Nach Entdeckung eines möglichen Fehlers ist oft Folgendes empfehlenswert:

Weiterbehandlung und Schadenminderung

Nach Entdecken eines möglichen Fehlers ist die sorgfältige Weiterbehandlung des Patienten sicherzustellen. Bestenfalls kann dabei das Ausmass des Schadens verringert werden, etwa durch den Beizug eines Kollegen oder weiteren Spezialisten (z. B. eines Gefässchirurgen bei einer Gefässverletzung). Es ist davon abzuraten, aus Selbstüberschätzung oder Angst, damit «etwas» einzugestehen, auf eine solche Unterstützung zu verzichten.

Hohe Priorisierung und proaktive Aufarbeitung

Wichtig ist, dass ein möglicher Fehler weder verharmlost noch verdrängt wird. Gerade in solchen unvorhergesehenen Situationen ist ein Fokus auf den Patienten wichtig. Neben einer anständigen und adäquaten Kommunikation empfiehlt es sich auch, einen möglichen Fehler umgehend unter Beizug eines Spezialisten (z. B. Kaderarzt), der nicht direkt in die Behandlung involviert war, aufzuarbeiten und zusammen mit diesem die weiteren Schritte festzulegen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass sich eine hohe Priorisierung zu einem frühen Zeitpunkt und ein damit einhergehender Einsatz aller nötigen Ressourcen auszahlen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Fall wird schnell und transparent aufgearbeitet, wodurch man bei allfälligen Weiterungen des Falls nicht hinterherhinkt oder der Eindruck des Vertuschens entsteht. Für Behandlungsteams in Spitälern gilt ausserdem, dass der möglicherweise fehlbare Arzt nicht sich selbst überlassen, sondern bestmöglich unterstützt wird.

Gedächtnisprotokoll

Es lohnt sich für jede in die Behandlung involvierte Person, zeitnah ein Gedächtnisprotokoll zu erstellen. Darin sind alle relevanten Informationen zur fraglichen Behandlung festzuhalten, ohne dass Wertungen, Fehlereingeständnisse oder Schuldanerkennungen vorgenommen werden (beteiligte Personen, Behandlungsverlauf, nur eigene Beobachtungen, Fakten etc.). Da die medizinische und rechtliche Aufarbeitung eines möglichen Fehlers regelmässig verzögert beginnt und auch lange dauern kann, kann ein Gedächtnisprotokoll als Gedankenstütze dienen, wenn es (erst) Monate später zu konkreten Vorwürfen oder einer Befragung durch ein Gericht bzw. die Strafverfolgungsbehörden kommen sollte.

Gespräch mit Patient

Kommunikation ist (auch und gerade) im Gespräch über mögliche Fehler von elementarer Bedeutung: Wirft ein Patient dem Arzt eine Pflichtverletzung vor, lohnt es sich für den Arzt immer, sich Zeit zu nehmen für ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten (inkl. dessen Vorbereitung) – abgesehen vom Gebot des Anstands sind diese Gespräche oft eine Weichenstellung für die spätere Regelung bzw. Erledigung der Haftung. Hilfreich ist erfahrungsgemäss auch, wenn ein zusätzlicher Spezialist am Gespräch teilnimmt, der nicht direkt in die Behandlung involviert war (z. B. ein Kaderarzt, Beschwerdemanager etc.). Im Gespräch können der Behandlungsverlauf besprochen sowie allfällige Unklarheiten und Missverständnisse ausgeräumt werden. Der Arzt soll dabei offen und transparent über die Fakten informieren, seine eigenen Handlungen oder ihre Konsequenzen aber nicht bewerten und vor allem nicht spekulieren. Von voreiligen Schuldeingeständnissen (ohne vorgängige Zustimmung der Haftpflichtversicherung) ist ebenfalls abzusehen (vgl. dazu vorn, Versicherungsschutz und -ansprüche, Wichtige Pflichten des Versicherten im Schadenfall, Keine Schuldanerkennung ohne Zustimmung der Haftpflichtversicherung).
Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass die meisten Vorwürfe im Rahmen eines Gesprächs mit dem Patienten ausgeräumt werden können.

Involvierung der Haftpflichtversicherung

Wenn sich abzeichnet, dass ein Schadenfall eingetreten ist bzw. der Patient entsprechende Vorwürfe geltend macht, ist die Haftpflichtversicherung – nach entsprechender Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht – zeitnah zu informieren (vgl. dazu vorn, Versicherungsschutz und -ansprüche, Wichtige Pflichten des Versicherten im Schadenfall, Anzeigepflicht). Dabei lohnt es sich, die vollständige Patientendokumentation und allfällige Vorschläge für Gutachter gleich mitzuschicken. Alle weiteren Schritte, insbesondere die Kommunikation mit dem Patienten oder dessen Anwalt, sind fortan mit der Haftpflichtversicherung abzusprechen bzw. werden von dieser übernommen.

Betreuung des behandelnden Arztes

Ein möglicher Fehler ist nicht nur für den Patienten belastend, sondern auch für den behandelnden Arzt (Selbstvorwürfe, Angst vor neuen Fehlern, Konzentrationsprobleme etc.). Das ist völlig normal. Eine psychische Belastung und ein Verlust von Selbstvertrauen bergen das Risiko, dass erneut Fehler begangen werden. Die Betreuung und Begleitung des behandelnden Arztes bzw. der Austausch unter den Berufskollegen haben deshalb mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient wie die Abwicklung des Schadenfalls.

Überprüfung der Prozesse zwecks Vermeidung einer Fehlerwiederholung

Sobald die im konkreten Einzelfall notwendigen Sofortmassnahmen ergriffen sind, sollte der Prozess, bei welchem der mögliche Fehler aufgetreten ist, kritisch überprüft werden (nötigenfalls unter Beizug von weiteren Spezialisten). So kann eine Wiederholung des Fehlers vermieden werden.

Dr. iur. Simon Schönenberger

Rechtsdienst, Direktion Corporate Center Funktionen
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

simon.schoenenberger@usz.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Therapeutische Umschau

  • Vol. 81
  • Ausgabe 6
  • Oktober 2024