- Palliative Care – eine Herausforderung auch für die medizinische Grundversorgung
Auch in der Schweiz konnte gezeigt werden, dass sich eher jüngere Ärzt/-innen, die vergleichsweise wenige Patient/-innen sehen und sich im Bereich der Palliative Care unsicher fühlen, die von ihnen betreuten ernst erkrankten Menschen am Lebensende in andere Hände übergeben (3). Als Gründe hierfür werden primär Zeitmangel sowie die Unvereinbarkeit mit anderen Verpflichtungen vor allem im familiären Rahmen angegeben; aber auch die Tatsache, dass keine Hausbesuche durchgeführt werden können, die Honorierung mit dem aktuell gültigen TARMED-Tarif unbefriedigend ist und nicht zuletzt, dass besser ausgebildete Spezialist/-innen zur Verfügung stehen, welche die palliative Betreuung am Lebensende zu übernehmen bereit sind. Gemäss einer aktuellen Bedarfsschätzung zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sind aktuell jährlich ca. 50’000 Menschen in der Schweiz auf Palliative Care angewiesen; diese Zahl wird aufgrund der demographischen Entwicklung bis im Jahr 2050 auf 60’000 – 66’000 Menschen ansteigen (4).
Allerdings basieren diese populationsbasierten Bedarfsschätzungen auf Daten der Todesfallstatistik und orientieren sich an der Häufigkeit der Todesfälle aufgrund von unheilbaren und/oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Damit wird der Bedarf an Palliative Care auf den Zeitpunkt des Lebensendes und auf die Todesursache reduziert. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass Palliative Care – wie dies übrigens auch im Rahmenkonzept Palliative Care Schweiz festgehalten ist – nicht nur am Lebensende angezeigt ist und weit über die Symptomkontrolle hinausgeht sowie einem multidimensionalen Konzept entspricht und neben medizinischen Behandlungen auch pflegerische Interventionen, sowie psychologische, soziale und spirituelle Unterstützung beinhaltet, dürften diese Zahlen weit höher liegen (5).
Die Autorinnen des Berichts zuhanden des BAG gehen in ihrer strukturspezifischen Schätzung davon aus, dass der jährliche Bedarf an der Versorgung in verschiedenen Strukturen zwischen 104’000 – 715’000 Menschen liegt (4). 80 % dieser Personen können ausschliesslich durch Fachpersonen der allgemeinen Palliative Care versorgt werden und nur 20 % sind zeitweise auf die Versorgungsstrukturen der spezialisierten Palliative Care angewiesen. Dies bedeutet aber auch, dass ärztliche und nichtärztliche Fachpersonen in ambulanten Praxen, Spitälern, Alters- und Pflegeheimen sowie Spitex-Organisationen zwingend einen Auftrag im Bereich der allgemeinen Palliative Care wahrnehmen müssen. Palliative Care gehört zu den Grundkompetenzen von Ärzt/-innen im ambulanten und stationären Bereich und kann schon allein vor dem Hintergrund der grossen Zahl an Menschen, die auf Palliative Care angewiesen sind, nicht generell an Kolleg/-innen mit dem entsprechenden interdisziplinären Schwerpunkttitel Palliativmedizin delegiert werden.
Das vorliegende Themenheft mit dem Titel «Palliative Care in der Grundversorgung» möchte einen Beitrag leisten zur Fortbildung von Ärzt/-innen, die in der Grundversorgung tätig sind und sich im Bereich Palliative Care engagieren. Die Fachgesellschaft palliative.ch nimmt übrigens ihre Verantwortung für die Fortbildung in der Grundversorgung sehr ernst. Ein Beispiel hierfür ist der im Spätherbst 2024 zum dritten Mal angebotene Kurs mit dem Titel «Das Einmaleins der Pflegeheim-Medizin», wobei der Fokus auf Geriatrie und Palliativmedizin gesetzt wird: https://www.palliative.ch/de/was-wir-tun/bildung-und-weiterbildung/das-einmaleins-der-pflegeheim-medizin-fuer-haus-und-heimaerztinnen-und-haus-und-heimaerzte.
Fortbildung ist allerdings nur ein Element, das zur Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung von Menschen in der Schweiz beiträgt; ebenso dringend ist es angezeigt, dass in die Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Palliative Care investiert wird und nicht zuletzt, dass ein ärztliches Engagement im Bereich der Palliative Care entsprechend honoriert wird. Der aktuell gültige Tarif TARMED ist dringend durch eine neue sachgerechte Tarifstruktur abzulösen, die es Ärzt/-innen erlauben muss, aufwändige Haus- und Heimbesuche, Koordinationsleistungen, interprofessionelle Rundtischdiskussionen und vorausschauende Gespräche im Sinn der Gesundheitlichen Vorausplanung abzurechnen.
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH
Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, uniham-bb
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal
Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. Malik S, Goldman R, Kevork N, Wentlandt K, Husain A, Merrow N et al. Engagement of Primary Care Physicians in Home Palliative Care. J Palliat Care. 2017 Jan;32(1):3-10
2. Rhee JJ, Zwar N, Vagholkar S, Dennis S, Broadbent AM, Mitchell G. Attitudes and barriers to involvement in palliative care by Australian urban general practitioners. J Palliat Med. 2008 Sep;11(7):980-5.
3. Giezendanner S, Jung C, Banderet HR, Otte IC, Gudat H, Haller DM et al. General Practitioners’ Attitudes towards Essential Competencies in End-of-Life Care: A Cross-Sectional Survey. PLoS One. 2017 Feb 1;12(2)
4. Ziegler, Sarah; Laubereau, Birgit; Rickenbacher, Julia (2023): Bedarfsschätzung Palliative Care. Bericht zuhanden des Bundesamts für Gesundheit
5. Bundesamt für Gesundheit (BAchweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), palliative ch (2014): Rahmenkonzept Palliative Care Schweiz. Eine definitorische Grundlage für die Umsetzung der «Nationalen Strategie Palliative Care», Bern.
Therapeutische Umschau
- Vol. 81
- Ausgabe 4
- August 2024